Ohne Schafspelz im FSK (Freies Sender Kombinat) - die Grauen Wölfe

Im Zuge des Wahlkampfes im Herbst 2015 in der Türkei hatte die türkischsprachige Sendung Anilar FM, die schon zuvor durch unreflektierte Bezugnahme auf nationalistische Feiertage oder auch Einladungen zur AKP-Wahlparty in der Kritik stand, eine Sendereihe geplant, in der die größten Parteien der Türkei vorgestellt werden sollten. Den Gedanken des „objektiven“ Vorstellens verschiedener Parteien mit zum Teil rechten, nationalistischen und religiös-konservativen Inhalten, erachten wir im Kontext eines linken Radiosenders ohnehin als fragwürdig. Mehr als fragwürdig ist jedoch das Einladen prominenter Vertreter der MHP (Milliyetçi Hareket Partisi, auf Deutsch Partei der Nationalistischen Bewegung – eine faschistische Partei aus der Türkei, auch als Graue Wölfe bekannt) in die Räume des FSK. Darunter waren Hacı Yusuf Aslan, der - inzwischen ehemalige - Vorsitzende der Türkischen Föderation (der Dachverband der MHP-nahen Vereine), das MHP-Wahlkommissionsmitglied Şahin Almaoğlu, Sahip Kara, Vorstandsmitglied der Ülkü Ocaği (dt.: Idealistenverein, Hamburger Ableger der Türkischen Föderation) und telefonisch zugeschaltet, der MHP Abgeordnete aus Sivas[1] (Türkei) Celal Dağgez.

Ein ernstes Problem ist dabei die physische Präsenz von Faschisten im FSK: Das übergeordnete Ziel dieser Leute ist Mord und Totschlag. Für Kurdinnen, Antifaschistinnen und Linke – allesamt im FSK anzutreffen – kann das Zusammentreffen mit Grauen Wölfen in körperlichen Auseinandersetzungen münden und setzt die Genoss_innen dem Risiko faschistischer Übergriffe aus. Auch ohne, dass es zum Äußersten kommt: Es hebelt den Schutz der Anonymität vor Faschisten aus, der in den Senderäumlichkeiten gewährleistet bleiben muss. Plötzlich kann nach außen dringen, wer die Stimme hinter der Sendung ist, die zuletzt die Grauen Wölfe demaskiert hat.

Die zweistündige Sendung, bot den Faschisten eine optimale Werbeplattform in die deutsch-türkische Community, die mehr durch wohlwollende Raumgabe für eine Verharmlosung der rechten Inhalte auffiel, als eine kritische Auseinandersetzung überhaupt zu suchen. Der Moderator führt die Vertreter der MHP als „gute Freunde“ ein, die er auch den Hörer_innen vorstellen wolle. Dass dies nicht nur als Floskel gemeint ist, macht der Moderator deutlich, denn er beschreibt sein Verhältnis zum Hamburger Vertreter Sahip Kara als „auch persönlich befreundet“, laut beiderseitiger Aussage arbeiten sie seit 1999 „schön“ zusammen. Abschließend findet er auch noch großes Lob für die „schöne [Vereins]arbeit“ der MHP in Deutschland, die er als „im wahrsten Sinn türkische Kulturarbeit“ bezeichnet.

Die Aufmerksamkeit von Hörerschaft und der nachfolgenden Sendung haben dazu geführt, dass der Vorfall bekannt wurde, ein reger Austausch über Sendeinhalte ist im FSK leider nicht unbedingt üblich. Allen Senden, die mit dem Vorfall konfrontiert wurden, war klar, dass das Hofieren der MHP im FSK ein „No go“ darstellt. Doch die darauffolgende Auseinandersetzung über die besagte Sendung wurde internen Machtkämpfen geopfert, die Ihre Ausgangspunkte weit jenseits der Thematik haben und zum Teil irrational anmuten. Dies blockiert jede Debatte innerhalb des Senders, führt zu Tabus und behindert die Auseinandersetzung über die Sendung und beweist, dass das FSK seine Debattenfähigkeit eingebüßt hat.

 

Aufarbeitung als Geschichte vom schrumpfenden Mammutprozess

Zum ersten Mal über das Thema gesprochen wurde im November bei einer Sitzung der Anbieter_innengemeinschaft (ABG), dem „Monatsplenum“ im FSK. Dazu hatte Anilar.FM ohne eigene Anwesenheit ein Schreiben eingereicht, in dem sich für die Einladung von MHP-lern entschuldigt wurde, ohne auf inhaltliche Fragen überhaupt einzugehen. Weil dies kollektiv als unzureichend bewertet wurde, hat die ABG beschlossen, eine gesonderte Aussprache mit der Sendung Anilar.FM zu suchen. Anilar.FM wurde aufgefordert, die Thematik in seiner Sendung aufzugreifen. In einer der darauffolgenden Anilar.FM-Sendungen gab der Moderator pointiert wieder, wie er die Problematik versteht: Die „Leitung“ des FSK halte die Grauen Wölfe für Faschisten, weswegen deren Anwesenheit im Sender unerwünscht sei. Das Benennen der Grauen Wölfe als Faschisten wurde dabei nicht als eigener Reflexionsprozess präsentiert, sondern als eine zu befolgende Anweisung der „Leitung“. Sogar diese halbgare Distanzierung erfolgte erst Mitte November.

Die ebenfalls für Mitte November 2015 angesetzte Aussprache mit der Sendung Anilar.FM musste ausfallen, weil sich zur verbindlichen Teilnahme an der Aussprache ausgerechnet ein Angehöriger einer in der Türkei diskriminierten und von der MHP bedrohten Minderheit als einziger bereit erklärt hat. Dieser hat betont, dass er nicht alleinverantwortlich für den politischen Prozess der Aufarbeitung im FSK sein wolle, sondern es Aufgabe aller Antifaschist_innen sei, Faschisten im FSK keinen Raum zu geben. Dennoch war es der gleiche Sendende, der in 3 Mails im zeitlichen Abstand von je einer Woche, darauf drängen musste, dass die Aufarbeitung fortgesetzt und ein Termin dafür gefunden wird – ohne besondere Resonanz und ohne Erfolg.

Bei der Sitzung der Anbieter_innengemeinschaft im Dezember 2015 wurden kurdische Sendende nachweislich an der Teilnahme gehindert und ohne jeden Anhaltspunkt in die Nähe der PKK gerückt und dadurch als Gefahrenpotenzial für den Moderator von Anilar.FM eingestuft. Dass es eigentlich um die Gefahr gehen müsste, die für eben jene Sendende von der MHP ausgeht, fällt unter den Tisch.
Im Januar kam es dann zu einem Gespräch mit Anilar.FM auf der ABG. Dort war weiterhin kein inhaltlicher Auseinandersetzungsprozess erkennbar, lediglich ein Begleiter des Moderators von Anilar.FM erklärte die Einladung als den falschen Gedanken einer „Volksfront“ um Erdogan zu verhindern – unter Beteiligung der MHP. Dabei wurde aber nicht deutlich, weshalb die AKP auch eingeladen war (nebenbei ein Skandal für sich!) und es widerspricht allen inhaltlichen Äußerungen des Moderators, die eher in Richtung Parteienharmonie und „schöne Vereinsarbeit“ gingen. Gegen Ende der ABG brüllte der Moderator von Anilar.FM einen vermeintlich kurdischen Sendenden an, dieser sei nur für die Absetzung der Sendung, weil er mit allen anderen Kurden im Sender unter einer Decke stecke. Trotz dieses Vorfalls konnte sich die ABG nicht zu einem Sendeverbot durchringen, weil die Anwesenden der Meinung waren, den politischen Kontext der Türkei nicht genug bewerten zu können. Als „Hausaufgabe“ wurde formuliert, sich über die politische Situation in der Türkei zu informieren.

Nur in einer als Selbstzweck aufgeblähten Debatte, die nicht dem Ziel nach lösungsorientiert ist, kann einem entgehen, dass selten über einen ausländischen Wahlkampf in deutschen Medien so viel berichtet wurde, wie über den in der Türkei und dass es türkische und kurdische Freunde und Genossen gibt, mit denen man sich darüber austauschen kann. Diese Bewertungsunfähigkeit entspringt also einerseits einer geheuchelten Demutsgeste, die sich andererseits auch als Nicht-Zuständigkeit und Nicht-Betroffenheit interpretieren lässt. Dazu passt es, dass jedes Einfordern der Diskussion an einer „betroffenen“ Person hängengeblieben ist, die sich dafür noch anhören musste, mit anderen „Betroffenen“ unter einer Decke zu stecken.

Nach einem weiteren Treffen von drei Einzelpersonen mit dem Moderator von Anilar.FM versandete die Debatte dann endgültig, weil niemand mehr die Energie hatte, den Aufarbeitungsprozess weiter voran zu treiben.

 

Das Versanden war kein Zufall

Im Editorial des März-Transmitters wurde der ganze Prozess dann beiläufig so dargestellt:
„Wenden wir uns dem Radio Alltag zu: Seit nun 5 Monaten beschäftigen wir uns mit einem Vorfall, von dem wir nicht geglaubt haben, daß ein solches möglich sei. Die Diskussion dazu ist nicht abgeschlossen und soll on Air auch als Prozess bzw. im Verlauf noch einmal transparent gemacht werden. Vorab: In einer Sendung ist die Partei MHP wohlwollend zu Wort gekommen. Daß solches nie wieder geschieht und zu verstehen, welche strukturellen Probleme dazu geführt haben, daß es geschehen ist prägt diese monatelange Diskussion in allen Momenten und in angespannter Emotionalität. O.K.? Nicht O.K.! Und auch kein Aber – Wir müssen da durch. Es gibt massive Verletztheiten, der Alltag ist auch in diesem Punkt ein anderer geworden; wir werden erst Morgen und Übermorgen sehen, was das mit uns gemacht hat. Faschisten haben kein Wort und keinen Ort im FSK“ Das ist, wie sich aus der Chronologie des „Aufarbeitungsprozesses“ herauslesen lässt, alles andere als die Wahrheit. Die Sendung Anilar.FM hat die MHP eingeladen und auch in der Vergangenheit kein Abgrenzungsbedürfnis in die Richtung bewiesen und ist dafür nicht rausgeflogen.[2] Faschisten haben also scheinbar doch Wort und Ort im FSK. Trotz der versprochenen Transparenz wird etwas als fünfmonatiger Prozess dargestellt, was im Wesentlichen ein mehrfaches Aufschieben war. Die Tendenz zum öffentlichen Schönreden allerdings setzt sich fort: Dass trotz der ergebnislosen „Aufarbeitung“ weitere vier Monate später in einer gemeinsamen Sendung von Teilen der Radiogruppe Loretta, von Anilar.FM und der Sendung Haymatlos dennoch von einer „intensiven Aufarbeitung“ die Rede ist, an deren Ende jedoch keinerlei Ergebnis steht, ignoriert, dass die Strukturen des Senders derzeit nicht in der Lage sind, lebhafte politische Diskussionen überhaupt zu führen. Die monatlich stattfindende ABG ist weniger ein Gremium politischer Diskussionen als mehr ein Treffen, das der Verwaltung des Senders dient.

Als in der „Aufarbeitungssendung“ vom Moderator der Sendung „Haymatlos“ Kritik am bisherigen Vorgehen geäußert wird, erntet er die vorwurfswolle Frage: „An wen richtest du das? An die Hamburger Öffentlichkeit?“ Absurd, wenn sich vor Augen geführt wird, dass das Gespräch gerade in einer FSK-Livesendung stattfindet. Vielmehr wird damit der Anspruch auf diese Öffentlichkeit geäußert und der Wille zu bestimmen, welchen Eindruck sie von dem Aufklärungsprozess bekommt. Eine grundlegende Kritik an dem bisherigen Verfahren wird somit eine peinliche und abzuwimmelnde Angelegenheit.
Als der Moderator von „Haymatlos“ erneut Auseinandersetzung fordert, ist die Antwort ein ellenlanger Monolog über das Grundsatzpapier des FSK und die Dialektik von Community Radio. Das ist zwar am konkreten Thema vorbei, aber dafür ein probates Mittel um von der eigentlichen Fragestellung abzulenken. Daran, dass einerseits öffentliche Kritik unerwünscht ist, sich andererseits aber auf Grundsatzpapiere von 1994 berufen wird, zeigt sich: Freies Radio als Konzept ist eben nur soweit willkommen, wie es in die eigene politische Agenda passt.[3]
Dennoch wird in dieser Sendung beispielhaft deutlich, wie der ganze Prozess abgelaufen ist: Eine Person drängt auf Aufarbeitung und Konsequenzen, Anilar.FM hat dazu nicht viel zu sagen, weitere Personen nutzen jedes rhetorische Mittel, von der Ablenkung bis hin zum mehrminütigen Monolog um vom Thema wegzuführen, den Prozess als Prozess zu loben und über Konsequenzen nicht reden zu müssen. Es wird sehr deutlich, dass es nicht um Aufarbeitung geht, sondern lediglich darum, die Deutungshoheit über die Außendarstellung des FSK zu behalten. Dass es in erster Linie darum geht, diese Deutungshoheit zu behalten, wird auch durch einen anderen Aspekt sehr deutlich: Obwohl im Transmitter eine transparente Aufarbeitung versprochen wurde, dürfen wir die mehrfach zitierte Sendung nicht als Podcast im Internet veröffentlichen. Begründet wird es damit, den Moderator von Anilar.FM vor möglichen Angriffen von MHP-lern zu schützen, obwohl er in der ganzen Sendung kein inhaltlich-kritisches Wort zur MHP sagt.

 

Besser scheitern...

Dieser Text dokumentiert insofern schon ein Versagen des FSK, als dass es nicht auf eigenen Kanälen möglich ist, diese Transparenz herzustellen. Anliegen dieses Textes ist es, dennoch so weit als möglich Transparenz über den Vorfall und den Umgang damit zu schaffen.
Wir haben dennoch auch klare Erwartungen an den weiteren Umgang mit der Einladung von Faschisten ins FSK.

1. Sendende, die Faschisten ins FSK einladen, ihre Arbeit loben mit ihnen geschäftlich und privat befreundet sind und auch danach kein Problembewusstsein dafür entwickeln, sollen im FSK nicht senden dürfen.
2. Die versprochene Transparenz im Umgang soll eingelöst werden: Dieser Text soll als kritische Perspektive auf die „Aufarbeitung“ auch im Transmitter abgedruckt werden und auf den Online-Kanälen des FSK veröffentlicht werden.
3. Die Frage nach den strukturellen Gründen für das Versanden der Debatte, für das Entwickeln eines Begriffs von Community Radio und über die Verhältnisse in der Türkei muss gestellt und bearbeitet werden. Dies geht nur mit der Einsicht, dass eine inhaltliche Debatte bislang nicht stattfinden konnte.
4. Um Letzteres zu erreichen, müssen die Strukturen im FSK demokratisiert werden – es kann nicht sein, dass Einzelpersonen entscheiden wie und worüber diskutiert werden darf – und worüber nicht diskutiert wird.
5. Wichtige Entscheidungen (wie z.B. welche Sendungen bleiben dürfen bzw. neu aufgenommen werden, Hausverbote etc.) müssen in Zukunft demokratisch entschieden werden und nicht wie bisher von Einzelpersonen.

Die Sendungen Haymatlos, Güncel Radyo, das Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen am Freitag und kritische Hörer_innen des FSK.

 

Anmerkungen:

[1] Sivas ist die Stadt eines Pogroms gegen alevitische Künstler und Schriftsteller im Jahr 1993. Mehr darüber und über die Rolle der MHP dabei lässt sich z.B. hier nachlesen: http://jungle-world.com/artikel/2013/27/48019.html

[2] So werden Vertreter der MHP in der Beschreibung der Sendung als normale Interviewpartner dargestellt: http://www.fsk-hh.org/sendungen/showallproto/Anilar+FM+93.0

[3] Wir haen in einer erweiterten Veröffentlichung begründen, warum ein abstrakter Verweis auf „die Dialektik“ dem diskussionswürdigen Verhältnis von Community Media und Freiem Radio nicht gerecht wird. http://www.freie-radios.net/78431

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Heiner (Mittwoch, 10 August 2016 21:13)

    Dank für die ausführliche Dokumentation - und eine Anmerkung zum Kontext des Beschriebenen:
    FSK musste in den letzten 12 Monaten den schwierigen und anstrengenden Umzug in andere Räumlichkeiten bewältigen.

    viele Grüße
    Heiner

  • #2

    Lana (Donnerstag, 11 August 2016 17:35)

    Danke . . sowie der Verlinkungen und Austausch. Der Sendeverlauf ist ausführlich dokumentiert. Selbst auf die Gefahr hin - unabhängig meiner Unsicherheit HIER etwas zu entfachen welches Face-to-Face einfacher oder besser klärt und des nötigen Ausdruck und Wortwahl - ich etwas vorweg/wiederholt/ . . . zu nehmen. Es erschrickt- bestenfalls bezeichnend - mich wie einfachst insbesondere Aussenstehende ein Eindruck von - im Sinne von - ". . Problem gelöst . . " vermittelt (anm.: oder gar " . . muss sein . . ".) werden kann. Ich frage mich wann eine Meldung kommentiert und analysiert werden kann/soll/muss. Ich empfinde ANILAR, unabhängig von den Anregungen, vieles in der verarbeitenden Sendung entweder diktiert wurde oder kaum zu Wort kam. http://www.gegenstandpunkt.com/gs/2006/4/gs20064111h2.html zu Integration -

  • #3

    haymatlos (Donnerstag, 11 August 2016 20:39)

    Gelegenheiten und Apelle AUCH in der Sendung und vorher bei mehreren Treffen etwas zu sagen, hatte Anilar.FM mehr als genug. Anilar.FM hatte leider inhaltlich nicht mehr zu sagen, weder in der Sendung und noch bei diversen anderen Treffen leider auch nicht... Ob im Vorfeld, Versprechungen in der Form "Na entschuldige dich mal brav in der Sendung, dann biegen wir das irgendwie hin" gemacht wurden, ist mir nicht bekannt, aber möglich, jedoch reine Spekulation. Und Spekulationen sind in dieser Debatte und auch sonst meistens nicht hilfreich, wir sollten einfach von den dokumentierten Sachverhalten ausgehen und Entscheidungen auf diesen Grundlagen treffen.